In Brandenburg ringen engagierte Eltern und sorbische Organisationen (Domowina, Sorbenrat) mit dem SPD-geführten Kultusministerium wegen Mindestschülerzahlen für Sorbisch-Unterricht, die eben diesen bedrohen. In Sachsen wurde der Zahlen-Konflikt im Jahr 2001 durch vorauseilenden Gehorsam gelöst:
Vorauseilender Gehorsam mit 2plus
Während allmorgendlich wochenlang Hunderte Sorben und der Vorsitzende des sorbischen Dachverbandes Domowina, Jan Nuck, auf dem Schulhof der sorbischen Mittelschule Crostwitz dafür demonstrierten, dass die Schule nicht geschlossen wird, auch wenn für die 5. Klasse „nur“ 17 statt der geforderten 20 Anmeldungen vorlagen, wurde im Bereich der sorbischen Grundschulen unter Regie der Vorsitzenden des sorbischen Schulvereins, Ludmila Budar, das Modell 2plus eingeführt. Damit wurden die sorbischen Klassen aufgelöst, Sprachniveau-Gruppen gebildet und Schüler sehr unterschiedlichen Sprachniveaus in eine Klasse gesteckt – und somit deren Schüler-Zahl wunschgemäß erhöht.
Alle Ziele verfehlt
Trotzdem wurde auch die sorbische Mittelschule Panschwitz-Kuckau geschlossen, ungeachtet dessen, dass hier an der Grundschule zuerst mit 2plus experimentiert wurde. Das führte zu erheblichen Verlusten an sorbischen Kindern für das sorbische Schulsystem, weil nun viele in nahe gelegene deutsche Schulen gingen. Selbst die sorbische Mittelschule Radibor wäre nach Wunsch des Kultusministeriums noch verschwunden, wenn nicht die Gemeinde erfolgreich vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht dagegen geklagt hätte. Das Ziel der Erhaltung des bisherigen sorbischen Schulnetzes wurde also verfehlt.
Die Idee von 2plus war schlicht: Die Kinder, die noch kein muttersprachliches Niveau haben, werden das binnen Jahresfrist durch entsprechende Sprachförderung erreichen. Und damit hätte man wieder eine richtige sorbische Klasse, nur eine wundersam gewachsene. Dieses Ziel, das Voraussetzung des Funktionierens von 2plus ist, wurde vollständig verfehlt. Die Zeit der Anpassung ans muttersprachliche Niveau wurde ständig verlängert, ehe man sich faktisch von diesem Anspruch verabschiedete.
Germanisierung statt Sorabisierung
Damit kam es also nicht zur sprachlichen Sorabisierung der deutschen, sondern zur Germanisierung der sorbischen Kinder. Denn sie haben ihren muttersprachlichen Sprachraum verloren und sind nun den ganzen Tag nicht in einem sorbischen, sondern deutschen „Sprachbad“ (nur an den Orten nicht, wo es kaum nichtsorbischsprachige Mitschüler gibt), um mal Immersionsterminologie zu verwenden. Es mag ja sein, dass viele dank großartiger Elternhäuser heute trotzdem einigermaßen souverän mit dem Sorbischen umgehen können – es ist aber nicht der Sinn von Schule, die von den Eltern geschaffene Bildungssubstanz zu verzehren, sondern zu vermehren. Genau dieses Verzehren ist aber Realität:
Schon 2007 lag ein wissenschaftliches Evaluationsergebnis vor, demzufolge sorbische Kinder teilweise am Ende des Schuljahres ihre Muttersprache schlechter beherrschen als am Anfang. Dennoch setzte die Vorsitzende des Sorbischen Schulvereins, die sich beim Crostwitzer Protest 2001 zurückgehalten hatte, das Modell ungerührt fort. Die Domowina, dem Prinzip der Souveränität der einzelnen Regionen und Fachvereine folgend, gab regelmäßig ihre Bedenken zur Lage der muttersprachlichen Kinder zu Protokoll und duldete ansonsten den Fortgang.
Minderheit in der eigenen Klasse
In Berlin entziehen deutsche Eltern oft mit List und Tücke ihre Kinder Schulklassen mit einer Mehrheit von Migrantenkindern, weil sie befürchten, dass sie am Ende nicht gut genug Deutsch können (obwohl diese Kinder zu Hause und im sonstigen Alltag ein deutschsprachiges Umfeld haben). Im Sorbenland lief es paradoxerweise umgekehrt: Die sorbischen Kinder wurden durch 2plus in eine Minderheitensituation an ihrer eigenen Schule und Klasse gebracht, obwohl sie auch außerhalb der Schule oft genug in einer solchen sind.
Ergebnis: Es wird deutsch gesprochen – nicht sorbisch
Als allerletztes „Argument“ kommt dann: Aber durch diese gemischten Klassen haben auch Kinder nichtsorbischer Herkunft mehr Kontakt zur sorbischen Sprache, das stärkt die Akzeptanz des Sorbischen. Allerdings nur abstrakt, denn im konkreten Schulalltag sprechen alle miteinander – deutsch. Das ist etwa so, als würde man sagen: Weil die Kinder mit Migrationshintergrund zu schlecht deutsch sprechen, müssen wir das Schulsystem ändern – und am Ende sprechen je nach Region alle arabisch oder türkisch.
Deshalb: sorbische Klassen!
Das sorbisch-katholische Milieu hat das totale Sprachverbot der Nazis relativ unbeschadet überstanden, weil die staatlich verordnete Assimilation in den Familien große Gegenkräfte mobilisiert hat. Bei 2plus haben wir aber eine selbst organisierte Assimilation, scheinbar freiwillig, und die ist lebensgefährlich. Sie könnte auf lange Sicht dazu führen, dass in ein, zwei Generationen im katholischen Milieu vom Alltags-Sorbisch so wenig übrig geblieben ist wie heute im evangelischen. Deshalb müssen aus meiner Sicht – nach 16 Jahren 2plus und damit verlorener solider sorbischer Schulbildung – 2plus schnellstmöglich eingestellt und sorbische Klassen gebildet werden.
Vorbild: Internationale Schulen
Selbstverständlich verkraftet eine intakte sorbische Klasse auch ein oder zwei Nichtmuttersprachler, die guten Willens sind (und solche erfolgreichen Beispiele gibt es auch aus der Vergangenheit vor 2plus), sich die sorbische Sprache auf muttersprachlichem Niveau anzueignen und mit ihren Klassenkameraden sorbisch zu sprechen. So wie es an einer internationalen Sprache üblich ist, konsequent auf Englisch miteinander zu kommunizieren.
Nachdem bei der jüngsten Bundesvorstandssitzung der Domowina Einigkeit darüber bestand, dass es so nicht weitergeht, bekam der Bildungsausschuss des Dachverbandes den Auftrag, über neue Wege nachzudenken. Als dessen Vorsitzender habe ich mich mit der Chefin des Witaj-Sprachzentrums, Dr. Beate Brězan, darauf verständigt, dass wir dies am 18. Dezember mit einem offenen gemeinsamen Ideenaustausch über verbesserte Förderung muttersprachlicher Kinder beginnen wollen.
Domowina mit klarem Maßstab
Der Domowina-Bundesvorstand hat im Sommer 2013 nach heftiger Auseinandersetzung folgenden Maßstab für die Bildung an sorbischen Schulen beschlossen: Dass sorbische Jugendliche ihre Muttersprache auf dem gleichen Niveau beherrschen wie deutsche. Ich begrüße es, dass nun endlich Schritt für Schritt eine Evaluierung von Sprachkenntnissen nach dem gemeinsamen europäischen Referenzrahmen stattfinden soll, nachdem die 2plus-Lobby all die Jahre eine systematische Überprüfung der Folgen ihres Tuns einschließlich daraus abzuleitender Konsequenzen unterlassen hat. Solche Zertifizierungen helfen auch Muttersprachlern, die in der Schriftsprache längst nicht immer so fit sind, wie sie es wünschen und brauchen.
Kreative Lösungen möglich
Wenn ich mal davon ausgehe, dass wir schätzungsweise rund 50 muttersprachliche sorbische Kinder und Jugendliche in jedem Jahrgang im Landkreis Bautzen haben, dann können wir allen eine sorbische Klasse (A-Klasse) bieten. Selbst zu DDR-Zeiten gab es A-Klassen mit bspw. sieben Schülern. Man wird im Einzelfall (Bautzen, Radibor) überlegen können, ob man das an einem gemeinsamen Ort einrichtet und denen, die fahren müssen, den Schülertransport erstattet – damit etwa nicht in Bautzen ein oder zwei sorbische Kinder mit sich allein sind, sondern mit anderen zusammen im nahen Radibor vor den Toren der Stadt eine kleine sorbische Klasse bilden. Das setzt aber voraus, dass 2plus auch in Radibor beendet und damit eine solche Klasse möglich wird.
Selbstverständlich könnten und sollten muttersprachliche sorbische Kinder und Kinder, die weniger sorbisch können, auch künftig viel gemeinsam erleben. Zum Beispiel den Sportunterricht. Und zusammen Projekte im Rahmen der Ganztagsangebote. Solche kreative Lösungen im Interessen eines starken Sorbischen und gelingenden interkulturellen Miteinanders sind wir auch all den Lehrern schuldig, die ehrenamtlich beim „Crostwitzer Aufstand“ 2001 den Schulunterricht der 5. Klasse machten, bis der Aufstand sein Ende nahm. Auch weil sein Rückhalt in der Region schon durch die 2plus-Strategen geschwächt worden ist. Ich finde übrigens, dass diese Pädagogen höchste Auszeichnungen verdient haben, die wohl keiner von ihnen bis heute erhalten hat.