Die sorbischen Jungs fahren nach Polen in den Wald, beschießen sich mit Paintball-Kugeln und kutschieren als Krönung zusammen auf einem russischen Panzer umher. Andere nehmen sich beim American Football so hart ran, dass es zu vorzeitigen Ausfällen kommt. Über solche Gesellschaftsspiele informiert zuverlässig alle paar Wochen die Jugend-Beilage der sorbischen Zeitung.
Die ganz Korrekten würden nun zur x-ten schon vor Eröffnung abgetörnten Debatte über archaische kriegslüsterne Männlichkeit ansetzen. Tatsächlich geht es um den Kern dessen, was auch die supermodernen Gender-Gelehrten predigen: Die Geschlechter muss jede Generation wieder neu konstruieren. In Zeiten der theoretisch grundsätzlichen und alltagspraktisch zunehmenden Gleichheit der Geschlechter ist der entscheidende Ort der Unterschiedlichkeit der Körper. So wird der entsprechend kultiviert, und sei es im ritualisierten Kampf. Natürlich zivilisiert, also schön symbolisch, aber wehtun muss es schon, sonst ist das ja nichts Körperliches.
Es geht also nicht um Krieg, sondern um Sex. Es ist ja eine zeitgenössische Irrlehre, der Sinn der Erotik sei der Ausdruck der Zuneigung zu einem anderen Menschen. Mit den allermeisten Menschen, die wir gern haben oder gar lieben, schlafen wir nicht. Zusammengehörigkeit lässt sich auch anders herstellen. Das Einzigartige der – hier aus heterosexuellem Blickwinkel erörterten – körperlichen Liebe ist ja gerade, dass die Angebetete die Trägerin des Weiblichen schlechthin ist und der Auserwählte der Träger des Männlichen an sich.
Gerade deshalb ist die große Liebe auch – im Regelfall – exklusiv, weil Promiskuität die Projektionsfläche des Begehrens am konkreten Gegenüber vom Weltumspannenden ins Belanglose schrumpfen lässt: Das Gegenüber ist dann nur noch eine Frau unter vielen oder irgendein Typ, aber nicht Stellvertreter des Weiblichen bzw. Männlichen überhaupt. Deshalb ist Treue nicht in erster Linie eine moralische Kategorie, die anzumahnen wäre, sondern eine Frage der Lebensklugheit, um nicht zu sagen Alltagsweisheit.
Was aber nun in einer bestimmten Zeit und Gruppen von Menschen und Einzelnen als „männlich“ oder „weiblich“ gilt, wird nicht im universitären Proseminar erfunden, sondern ist ein Klischee-Kaleidoskop, dessen Bildchen sicher immer wieder ein klein bisschen anders mischen. Dass es dabei offenbar gewisse historische Grundlinien gibt, ist keine Frage der Ideologie, sondern der Bequemlichkeit: Es würde zuviel Energie kosten, das elementare Spiel ständig völlig neu zu erfinden, also bedient man sich aus den Versatzstücken der Vergangenheit und modelliert sie für sich neu.
Das Spiel der gegenseitigen Verführung funktioniert ja nicht deshalb, weil wir uns „nett“ finden. Natürlich gibt es Voraussetzungen wie gewaltfreies und freundliches Verhalten, die gewissermaßen Geschäftsgrundlage sind. Man sollte auch ein paar gemeinsame Themen haben. Aber der Reiz, der zur Ekstase drängt, die „gemeinsame Chemie“ entspringt dem Augenblick der Erkenntnis, dass das geliebte Gegenüber die Frau bzw. der Mann schlechthin ist. Das ist das, was hinter dem Satz steckt: „Ich liebe dich über alles in der Welt.“
Deshalb ist es legitim, dass es Orte gibt, wo auch die Träger/innen des Weiblichen oder Männlichen, die nach dem Vereinigungsspiel mit dem anderen Geschlecht streben, mit sich alleine sind. Das an diesen Orten klischeehaft konstruierte Männliche bzw. Weibliche gerät „natürlich“ sofort in den Verdacht, etwas primitiv und unvollständig zu sein (kichernde Mädchen, raufende Jungs). Das muss es ja auch, damit es Lust auf Vervollständigung bekommt.
(In Zeiten der „Ehe für alle“ könnte nun jemand fragen: Gilt das alles auch fürs Homosexuelle? Maybe. Bei den gleichgeschlechtlichen Paaren, die ihren Unterschied nach ähnlichem Muster konstruieren. Bei denen, die mehr nach dem Prinzip „Gleich und gleich gesellt sich gern“ leben, ist das vielleicht anders. Dieser Grundsatz hat gleichwohl auch im Heterosexuellen seinen Platz, weil das Spiel mit der Verschiedenheit am besten geht, wenn man sich über die Abläufe einig ist, und das betrifft nicht nur das Bett, sondern auch den Tisch und das ganze Drumherum. Das aber ist schon wieder ein ganz anderes Thema, das hier den Rahmen sprengen würde.)