Mit Stanislaw Tillich tritt der erste Ministerpräsident Deutschlands zurück, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist, sondern die Sprache einer nationalen Minderheit. Natürlich fand ich es klasse, dass jemand in Sachsen die Staatsgeschäfte führt, der bei seiner Vereidigung auch „z božej pomocu“ sagt. Zugleich ist Tillich ein mustergültiger Europäer, kann mit den Nachbarn in Polen und Tschechien in ihrer Muttersprache kommunizieren.
Seinen Aufstieg und Fall konnte ich im Tonfall meiner Nachbarschaft wahrnehmen. „Tillich ist nett.“ Das sagen sie konstant seit seinem Amtsantritt über ihn. Jahrelang positiv gemeint: umgänglich, freundlich, hat ein offenes Ohr. Schließlich nur noch negativ: Nur nett, macht aber nichts.
Man kann nicht sagen, dass er gar kein Ziel hatte. Sein Ziel war, möglichst störungsfreie Verwaltungsapparate mit guter Laune zu moderieren. Also hielt er sich alle vom Hals wie den früheren Kultusminister Wöller, die die Harmonie mit irritierenden Fakten verstören. Und berief konsequent Leute aus der Bürokratie wie Kultusministerin Kurth. Dieses System ist aus der Perspektive der Bevölkerung auf ganzer Linie gescheitert.
Was hat der Sorbe Tillich den Sorben gebracht? Die eine Million mehr für die Sorben-Stiftung anlässlich des 100. Geburtstages des sorbischen Dachverbandes Domowina hat viele Mütter und Väter. Die zweisprachigen Autobahnabfahrtschilder lehnte er sogar ausdrücklich schriftlich ab – im Gegensatz zu einem CSU-Politiker und bundesweitem Minderheitenbeauftragten und der Regierung in Brandenburg. Dem Niedergang des sorbischen Schulwesens sah er schon vor Amtsantritt kommentarlos zu.
Als er nun wie eine Verzweiflungstat zum Rechtsschwenk der CDU rief, sorgte das auch innerparteilich für Fassungslosigkeit. So ganz ernst gemeint hat er das wohl selbst nicht, aber darin offenbarte sich zugleich sein strukturelles Manko: eigentlich zu nichts keine Meinung zu haben – um es mal in auf Deutsch falscher und sorbisch richtiger doppelter Verneinung zu formulieren.
Die Stimmen aus dem Volk heute im sorbischen Rundfunk sind teilweise erstaunlich eindeutig: Im „besten Alter“ laufe er vor der Verantwortung davon, ein schlechtes Beispiel für die Jugend. Natürlich gibt es auch Verständnis angesichts der öffentlichen Diskussionen der letzten Wochen. Aber massenhaftes tiefes Bedauern hört sich anders an.
Dazu hat wahrscheinlich auch die ganze Berichterstattung über seinen Hausverkauf in Panschwitz-Kuckau beigetragen. Als er mit Frau dort auf die vornehmen Höhen Dresdens wegzog, nahm das kaum einer so richtig ernst. Es sah aus wie eine Dienstwohnung. Nun aber dämmert es den meisten: Er ist wirklich entrückt, weg.
Was auch wieder nicht ganz stimmt. Wenn ich bedenke, wie oft ich Tillich bei privaten Anlässen im Sorbenland gesehen habe, dann spürt man, dass er hier noch zu Hause ist, auch wenn man das öffentlich kaum merkt. Das wiederum wirkt dann fast schon tragisch.