Bei der Konkurrenz gucken schadet nie. Die CDU-Landtagsfraktion stellte in ihrer Zeitung die mutmaßlich meistgefolgte Bloggerin Sachsens vor – von um die zwanzigtausend regelmäßigen Interessenspersonen ist die Rede. Um Mode soll es da vor allem gehen. Als ich probeweise reinklickte, war’s ein (noch) unkommentierter Beitrag übers Leben mit Kreditkarte, der praktischerweise gleich in (vermutlich auch finanzieller) Zusammenarbeit mit Visa entstanden sei.

Solche Blogs gelten als „Influencer“. Was Einflussreichtum suggerieren soll. Das scheint die Statistik nahe zu legen, erreichen doch ansonsten recht erfolgreiche Blogs hierzulande kaum mehr als täglich 50 Reinguckende. Ich selbst spiele in der Liga der „Normalos“, mein Beitrag über Bautzens Vizelandrat erreichte bislang 577 Lesende, und mein Braumann-sorbisch-Blog Piwarc hat an guten Tagen so seine 200 Aufrufe. Ansonsten ist das Leben des Bloggenden wie das Dasein an sich eine Sinus-Kurve: mal rauf, mal runter.

Die „Influencer“-Nummer ist ein Treppenwitz, der durch ständige Wiederholung nicht an Ernsthaftigkeit gewinnt. Keiner wäre in grauer Moderne-Frühzeit darauf gekommen, den massenhaft konsumierten Drei-Groschen-Romanen wegen ihrer exorbitanten Auflagen auch nur einen Hauch von gesellschaftlichem Einfluss zuzuschreiben. Sie waren Trash so wie die meisten „Influencer“-Blogs, die das Banale durch unentwegte Verdichtung kommunikativ scheinbar schwerwiegend machen. Während eine regionale Tageszeitung auch den meisten derer bekannt ist, die sie normalerweise nicht lesen, kennt die Banal-Blogs keine Sau außer denen, die in ihnen surfen – das ist, wie es bei den Drei-Groschen-Romanen war.

Ich versage mir den klischeehaften Verweis auf „Masse statt Klasse“, weil das so automatisch natürlich auch nicht stimmt. Allerdings funktioniert das Internet mit Netzwerken, und wenn ein kleiner Knoten von 50 Erreichten auf die Nachbarknoten ausstrahlt, die wiederum … (und so weiter), dann entstehen Einflüsse. Einfluss heißt ja nicht: Mich nehmen viele Leute wahr. Dieser Fehlschluss ist Narzissmus, die zeitgenössische Seelenstörung Nummer eins. Einfluss heißt, dass jemand durch das, was er in den Strom einfließen lässt, dessen Zusammensetzung bzw. Lauf, und sei es noch so minimal, verändert. Schwimmt das publizierende Individuum einfach nur auf dem Strom allgemeiner Gefühligkeit, fühlen sich in seinen Zeilen vielleicht ganz viele zu Hause, aber sie leben nach deren Lektüre weiter, als hätten sie sie nicht gelesen.

Ich habe überhaupt nichts gegen modische oder Mode-Blogs, ich gucke ja auch manchmal per Smartphone sinnfreie Videos zu reinen Entspannungszwecken. Ich gehe auch nicht davon aus, dass ich nun die große Einflusskanone bin – ich mische in meinem Kreisen ein bisschen mit, so wie das unzählige andere Leute in ihren Kreisen auch tun. Gemeinsam sind wir stark. Oder in einem schönen Bild von Jurij Brězan: „Ganz im Mittelpunkt unseres Kontinents – wie viele hierzulande irrtümlich glauben, also auch der Welt – entspringt die Satkula, ein Bach, der sieben Dörfer durchfließt und dann auf den Fluss trifft, der ihn schluckt. Wie die Atlanten, so kennt auch das Meer den Bach nicht, aber es wäre ein anderes Meer, nähme es nicht auch das Wasser der Satkula auf.“

Ein Gedanke zu “„Influencer“ ohne Einfluss

  1. Natürlich kenne ich auch viele andere Sätze von Jurij Brezan. Aber schon dieser eine Satz über die Satkula bweist mir, dass er der größte sorbische Dichter meiner Lebenszeit ist. Panta rhej.

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