Der Lokalchef der „Sächsischen Zeitung“ Bautzen bleibt auch nach dem Entzug der Zuständigkeit von CDU-Vizelandrat Udo Witschas für die Ausländerbehörde dabei: „Echte Konsequenzen sind angesagt, politische Kosmetik kann sich der Landrat sparen.“ Ja, er bescheinigt CDU-Landrat Michael Harig, er stricke „fleißig mit an der Legende, Witschas habe alles getan, die Lage in Bautzen zu beruhigen.
Harigs Legende vom Deeskalator
Das Gegenteil ist der Fall: Der Vize-Landrat hat mit provozierenden Interviews die Lage eher verschärft. (Anm. MDB: so etwa dieses: http://www.sz-online.de/nachrichten/der-asylbewerber-hat-provoziert-3742966.html, das die Fakten auf den Kopf stellt http://www.mdr.de/investigativ/bautzen-kornmarkt-fluechtlinge-rechte-100.html.)
Und er hat einen stadtbekannten Neonazi mit Informationen aus dem Landratsamt versorgt. Sein Gegenüber nutzte diese Quelle, um eine rechtsextreme Facebookseite zu füttern. Witschas wusste das und stimmte sich in einzelnen Fällen sogar detailliert mit dem ehemaligen NPD-Mann ab. Ein solches Verhalten wirkt nicht deeskalierend, es stärkt die rechtsextreme Szene.“
http://www.sz-online.de/nachrichten/kommentar-politische-kosmetik-genuegt-nicht-3756280.html
Witschas weiter Herr über jugendliche Geflüchtete?
Hinzu kommt verschärfend, wie Annalena Schmidt gerade geschrieben hat, dass Witschas mit dem Jugendamt für „unbegleitete minderjährige Asylsuchende“ zuständig bleibe:
http://www.schmanle.de/2017/08/23/endgueltiger-vertrauensverlust/
Das eigentlich – unbeschadet möglicher Abwahlanträge im Kreistag – auf der Hand liegende beamtenrechtliche Disziplinarverfahren gegen Witschas, das Sachsens Linksfraktionschef Rico Gebhardt angeregt hat, mochte Harig bisher nicht einleiten:
http://www.linksfraktionsachsen.de/index.php?section=news&cmd=details&newsid=4904&teaserId=6
Neben Chat „mit offenen Worten“ telefoniert
Und das nicht, obwohl die Durchsicht des kompletten Chatprotokolls, dass auf einer Sondersitzung des Landrats und seines Stellvertreters mit den Fraktionsvorsitzenden des Kreistags am Montagabend vorgelegt wurde, ergeben hat, dass es zusätzlich zu dem schon unüberbietbar skandalösen Chatprotokoll weiteren Witschas/Wruck-Telefonverkehr „mit offenen Worten“ gab, wie Radebergs OB und SPD/GRÜNE-Kreistagsfraktionschef Gerhard Lemm auf Twitter kundtat:
https://twitter.com/gerhard_lemm/status/900282308720300032
Harigs derzeitige Position ist allerdings auch nicht vergnügungssteuerpflichtig: Er laviert irgendwo in der Mitte zwischen einem CDU-Kreistagsfraktionschef, der gar keinen Fehler sehen wollte, und CDU-Parteimitgliedern, die einen Rücktritt von Witschas schon für angemessen halten. Die CDU Bautzen hatte ja selbst auf ihrer Facebookseite dieses breite Spektrum von parteiinternen Statements zur Sache beschrieben:
https://twitter.com/conny123452 (auf Twitter zitiert von Leserin der Facebook-Antwort)
So fordert die CDU-Stadträtin Elisabeth Hauswald, die zur Gruppe Bautzener „Stadträte für Respekt und Miteinander“ gehört, öffentlich den Rücktritt von Witschas
http://www.sz-online.de/nachrichten/ruecktritt-von-witschas-gefordert-3757000.html
Jetzt (24.8.) ließ sich gar der stellvertretende CDU-Kreistagsfraktionsvorsitzende, der Radiborer Bürgermeister Vinzenz Baberschke, in der sorbischen Zeitung „Serbske Nowiny“ dahingehend vernehmen, es sei mit gewissem Abstand eine entstandene Dynamik in der Angelegenheit des 1. Beigeordneten Witschas zu beobachten. Die CDU-Fraktion werde sich auf einer Sitzung am kommenden Montag verständigen. Unterdessen haben die Fraktionen SPD/GRÜNE und LINKE bereits das Quorum für eine Kreistags-Sondersitzung erfüllt.
Nun ist die „NPD-Chataffäre“, wie sie der MDR-Sachsenspiegel bezeichnet. schon vom puren Inhalt her eigentlich das sichere Ende für jeden Politiker, der als im demokratisch-bürgerlichen Spektrum angesiedelt verstanden werden möchte:
http://www.mdr.de/sachsen/bautzen/chat-protokoll-102.html
Dass die Lokalpresse inzwischen den Vizelandrat einer gravierenden unzutreffenden Aussage bei seiner Rechtfertigung und damit des „Durchstechens“ von Dienstgeheimnissen an eine kreisbekannte Führungsfigur der rechtsextremen Szene überführt hatte (siehe letzter Absatz des Beitrags in der Sonnabend-Ausgabe), wirkt zusätzlich schwer belastend:
https://www.sz-online.de/nachrichten/tillich-fordert-aufklaerung-zu-npd-kontakten-3753796.html
Rohrkrepierer „Unerfahrenheit“
Wie heikel selbst der langgediente Landrat Michael Harig die Lage einschätzt, ergibt sich schon aus seiner argumentativen Ausflucht in die vermeintliche „Unerfahrenheit“ seines ersten Beigeordneten:
https://www.sz-online.de/nachrichten/landrat-watscht-witschas-ab-3755463.html
Das löst aber nicht nur beim Kommentator der sorbischen Zeitung „Serbske Nowiny“ Kopfschütteln aus. Herr Witschas ist 16 Jahre hauptamtlicher Politiker, überwiegend als Bürgermeister. Da weiß man, was geht und was nicht. Und dass das, was er mit Herrn Wruck getrieben hat, eigentlich nicht geht, weiß er auch, schließlich hatte er selbst im Chat von zu erwartendem Ärger gesprochen.
Rücktrittsforderungen unumstößlich
Wer nun sagt, in Bautzen wird so einer eben im Amt gehalten, geht in der konkreten Sache m.E. fehl. Gerade weil es im Landkreis Bautzen auch so aussieht, wie das Bündnis „Bautzen bleibt bunt“ in seiner auf Rücktritt von Witschas abzielenden Petition geschrieben hat, kann er unmöglich an führender Stelle im Landratsamt verbleiben, wenn nicht der Ruf des Kreises (und nebenbei auch der des Freistaates) restlos ruiniert werden sollte:
Das Bündnis „Willkommen in Bautzen“ hält an seiner Rücktrittsforderung fest:
https://www.facebook.com/willkommeninbautzen/posts/674193172774107
Auch Kreis-Spitzenpolitiker wie Linksfraktionschef Ralph Büchner und Dirk Nasdala von den Freien Wählern fordern weitere Konsequenzen
http://www.mdr.de/mediathek/mdr-videos/a/video-132120.html
http://m.sz-online.de/nachrichten/wir-erwarten-weitere-konsequenzen-3756265.html
Falls die CDU bockig bleiben sollte, wird als Alternative „Degradierung“ von Witschas erwogen. So könnte er mit einfacher Mehrheit vom 1. zum 2. Beigeordneten zurückgestuft werden, wenn der Landrat zustimmt.
http://www.mdr.de/sachsen/bautzen/spd-fuer-sondersitzung-witschas-100.html
Dann würde die parteilose 2. Beigeordnete Birgit Weber erste Stellvertreterin von CDU-Landrat Harig werden.
http://www.lr-online.de/regionen/hoyerswerda/Neues-Trio-an-der-Kreisspitze;art1060,4158624
http://www.landkreis-bautzen.de/2665.html
Die einzige wirkliche Lösung ist und bleibt jedoch die schlichte Abwahl und damit die Verabschiedung von Herrn Witschas aus dem Landratsamt, wier sie nun fraktionsübergreifend angestrebt wird:
http://www.sz-online.de/nachrichten/fall-witschas-sondersitzung-gefordert-3757220.html
Die Vorbelastung ist einfach zu groß. Auch die von Herrn Witschas. Zunächst erklärte er vor einem halben Jahr sein Unverständnis über die Förderung von Flüchtlings-Integrationsprojekten in Bautzen. Ausgerechnet im soziokulturellen Zentrum „Steinhaus“, über das er später per Facebook-Messenger mit Wruck konspirieren sollte:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1061097.cdu-politiker-schickt-nazispitzel.html
Kurz bevor seine Vertraulichkeiten mit dem führenden Nazi enthüllt wurden, hatte er noch dem MDR-Reporter Arndt Ginzel, der auch Mitautor des Buchs „Unter Sachsen“ ist (wo er über Überfälle von Rechtsextremisten auf sorbische Jugendliche schreibt), auf mehrfaches Nachfragen zu verstehen gegeben, dass ihm nicht bekannt sein, dass mindestens 250 Rechtsextremisten in seinem Landkreis ihr Unwesen treiben, wie selbst der Verfassungsschutz weiß:
http://www.mdr.de/investigativ/video-129102.html
Nazis geachtet statt geächtet
Der Grundsatz „Mit Nazis spricht man nicht“, den der „Tagesspiegel“-Journalist und Sachsen-Kenner Matthias Meisner, Mitherausgeber des Buches „Unter Sachsen. Zwischen Wut und Willkommen“, auf unserer gemeinsamen Podiumsdiskussion am Donnerstag im „Haus der Sorben“ in Bautzen unter großer Zustimmung der Anwesenden im überfüllten größten Saal des Hauses auf den Punkt brachte
wird von einem Teil des politischen Establishments der Region anhaltend vorsätzlich missverstanden (auch Landrat Harig traf sich wiederholt mit Wruck, wenngleich nicht in der von Witschas gewählten intimen Kommunikationsweise). In einer Demokratie müsse man doch mit allen reden. Natürlich wird bspw. ein Bürgermeister einem Menschen, der sich in seinem Redebeitrag auf einer Einwohnerversammlung faktisch als Nazi entpuppt, ordentlich antworten. Es steht aber nirgendwo geschrieben, dass man Funktionäre und Rädelsführer menschenfeindlicher Bewegungen durch Direktkontakt achtet und aufwertet.
Ich habe auf besagter Veranstaltung im Zusammenhang mit dem äußerst bescheidenen juristischen Ergebnis der Staatsanwaltschaft nach der Serie von Übergriffen auf sorbische Jugendliche 2014 sinngemäß gesagt: Die Polizei, insbesondere das OAZ und sein Chef Bernd Merbitz, aber auch Repräsentanten der demokratischen Parteien und der Zivilgesellschaft, haben den sorbischen Jugendlichen den Rücken gestärkt. Unterm Strich ist unser Selbstbewusstsein im Gebrauch der sorbischen Sprache im öffentlichen Raum gestärkt worden. Entscheidend ist nicht die Zahl der Gerichtsurteile, sondern ob solche Umtriebe abseits der Zivilisation klar geächtet werden.
Im Fall Witschas geschieht das Gegenteil: Achten statt Ächten. Und diejenigen, die sich um eine freundliche, humane Gesellschaft kümmern, und sei es als Flüchtlingshelfer, werden als verdächtig behandelt.
Landkreis Bautzen Schlusslicht bei dezentraler Refugees-Unterbringung
Witschas verwahrt sich in seinem Chat mit Wruck gegen ein „Integrationszentrum“ Spreehotel, weil ein „Zentrum“ nicht zu Integration passe. Tatsächlich aber steht der Landkreis Bautzen (trotz erheblichen Wohnungsleerstandes) der Antwort von CDU-Innenminister Markus Ulbig auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten der LINKEN, Juliane Nagel, zufolge sachsenweit mit Abstand an der Spitze bei zentraler Unterbringung von Menschen im Asylverfahren:
Über 75 Prozent zentral Untergebrachte im Landkreis Bautzen, nur 25,67 Prozent dezentral bzw. in Wohnungen. Im Landkreis Görlitz leben 40,5 Prozent in Wohnungen, in Leipzig fast die Hälfte (trotz Wohnungsmangel).
Vergessen wollen wir auch nicht (Danke für Hinweis auf Facebook, Tobias Wilke), dass der CDU-Kreisverband Bautzen seinerzeit „überhaupt keine Veranlassung“ sah, den CDU-Gemeinderat zu rügen oder zu kritisieren, der als Mitwirkender einer selbsternannten „Bürgerwehr“ von Arnsdorf auftrat, die einen irakischen Epilepsiepatienten ohne jede Not geschlagen und gefesselt hatte…
Fazit
Ganz begreife ich nicht, warum Landrat Harig und de facto auch der CDU-Kreistagsfraktionschef mit ihrem Spiel aus Kosmetik und Blockade den Konflikt immer näher an die Bundestagswahl heranlaufen lassen. Jeder weiß, dass jedes Wort der vergangenen Tage auch gesagt worden wäre, wenn am 24. September keine Bundestagswahl wäre. Es reicht einfach: Vor drei Jahren machte der Bautzener CDU-Kreisvorstand mit NPD-Sprech von sich reden, der Bautzener CDU-Landtagsabgeordnete Marko Schiemann distanzierte sich öffentlich:
https://lauterbautzner.eu/2014/09/23/schiemann-distanziert-kreis-cdu-19455591/
Der Auszug aus dem Interview Schiemans mit der „Sächsischen Zeitung“ Bautzen unter Bezugnahme auf den NPD-Sprech-O-Ton der Kreis-CDU ist hier dokumentiert:
https://jule.linxxnet.de/wp-content/uploads/2014/09/SZ_Bautzen_Auszug.png
Wer das nochmal nachliest, wundert sich über gar nichts mehr. Sollte Witschas jetzt bleiben, hätte die politische NPD-Logik im Mantel der Christdemokratie in unserem Kreis gesiegt. Das möchte ich weder unserem Heimatlandkreis noch denjenigen meiner sorbischen Freundinnen und Freunde zumuten, die als gute wertkonservative Christen der hiesigen CDU angehören. Deshalb kann Herr Witschas nicht im Spitzenbereich der Landkreisverwaltung bleiben, wenn das Amt nicht von allen guten Geistern verlassen sein soll.
PS.:
Die Lausitzer Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Caren Lay, berichtete auf der „Unter Sachsen“-Diskussion im Haus der Sorben die Begebenheit mit einer schwarzafrikanischen Frau, die wegen des rassistischen Klimas von Bautzen nach Hoyerswerda gezogen sei, wo sie nun in Ruhe leben könne, und ihr das dort im Büro erzählt habe. Weltoffenes Hoyerswerda. Wie kam es dazu, nach den rassistischen Pogromen von 1991?
Ein Hoyerswerdaer Kommunalpolitiker klärte mir das so auf: Wir ziehen hier seit 25 Jahren mit der RAA durch die Schulen. Das wirkt sich aus. – Da ist zu fragen: Was wurde seit Anfang der 90-er in der Stadt Bautzen, wo sich jetzt die Konflikte so zuspitzen, getan, wie stand insbesondere die CDU in all den Jahren zu konsequenter antirassistischer Bildungsarbeit?
https://raa-sachsen.de/raa-sachsen-4.html
http://www.raa-hoyerswerda.de/
Foto: Der zurzeit fast ausgetrocknet erscheinende Bautzener Stausee – fast wie ein Symbol für das, was Witschas und Harig gerade in den Sand setzen.