„Der Spiegel“ ist ja bekannt für seine Skepsis gegenüber den himmlischen Verheißungen des Christentums. Nun beglückt er seine Leserschaft mit einem prophetischen Titel, der nur den Schönheitsfehler hat, dass er das ewige mit dem vermeintlich unendlichen Leben verwechselt.
Die Bibel schrieb von 70, wenn es hoch kommt, 80 Jahren. Das ist heute dank moderner Medizin in weiten Teilen der Welt die durchschnittliche Lebenserwartung. In den USA sinkt sie allerdings gerade wieder, und während in unseren Breiten bürgerliche Büromenschen mit ausgiebigen Fitness-Programmen um die Perspektive 90 kämpfen, ist man in anderen Bevölkerungsschichten froh, wenn’s bis 75 läuft.
Die Ewigkeit der Religion ist der zeitlose Augenblick. Unendlichkeit wäre unerträglich. Irdisch sowieso abwegig, denn selbst der unvorstellbare Wegfall des natürlichen Todes beseitigte ja nicht die unnatürlichen Todesursachen. Ob der ewige Augenblick das Höchste der Gefühle oder Langeweile pur ist, wird in dieser Welt argumentativ nicht entscheidbar sein, das ist Ansichts-, also Glaubenssache.
Was das Leben ausmacht, ist aber nicht sein reines Funktionieren, also Intaktheit im gesundheitlichen Sinne. Damit ist nur der wünschenswerte Rahmen beschrieben, dessen Zustand mehr oder weniger unvollkommen ist. Sondern die Intensität des Erlebens.
Nicht zuletzt das Ausmaß der Leidenschaft, die – das liegt schon in dem Wort drin – nicht in störungsfreier Kontinuität zu haben ist. Insofern läuft der Drang nach möglichst langem, möglichst gesundem Leben bisweilen Gefahr, das Funktionale zu vergöttern. Auf Kosten des Lebens.