Amerikanische Wissenschaftler haben herausgefunden (in der DDR waren es die sowjetischen…), dass die Linken schuld am Aufstieg der Rechten sind. Zu der neuesten entsprechenden Wortmeldung aus den USA hat die ZEIT im Feuilleton eine ganze Seite frei gemacht: „Die Hippies sind schuld“. Das Grundmuster der kolportierten Meinung, die zurzeit in Serie vertreten wird, also irgendwie in Mode gekommen ist: Die „Linken“ haben einen Kahlschlag unter Autoritäten angerichtet, und in dieses Vakuum strömt nun die anschwellende rechte Bewegung.

Finde den Fehler. Nein die Fehler. Erstens sind „Hippies“ Hippies so wie „Autonome“ Autonome sind. Ob gleichzeitig links, sei im Einzelfall geklärt. Ein „Kinderladen“ im Zuge der „68-er Bewegung“ beispielsweise, in dem genervte Kinder morgens fragten (Vorsicht, running gag) „müssen wir heute schon wieder machen, was wir wollen?“, war schlicht Bestandteil einer wohlstandseuphorisierten Zeitgeist-Blase. Ihr Dogma (nachdem man teilweise Anhänglichkeiten an diverse rasch gegründete und ebenso schnell wieder zerfallene totalitär denkende Sekten durchlaufen hatte): Das Individuum hat unendlich verschiedene Möglichkeiten und sollte gefälligst mal alles ausprobieren („Wer zweimal mit derselben…“). Das ist an sich weder links noch rechts, sondern bisweilen kollektiv infantil.

Zweiter Fehler: Es wird die Ostlinke regelmäßig als Teil des zivilisatorischen Zeitenstroms „vergessen“. Weil sie als „systemnah“ gebrandmarkt ist, ignorierend, dass besagte West-Symptome der Zeit 1968+ ebenso systemnah waren, nur eben einem anderen System. Der Osten brachte die ökonomische Unabhängigkeit der Frau vom Mann und die Befreiung der Leibeskultur von einer Mischung aus Kommerzialisierung und Prüderie hervor (im Holzschnitt: Arbeit und FKK für alle statt Porno plus Patriarchat). Während viele Alt-68-er des Westens in esoterische oder verkappt neokonservative Muster abglitten, nachdem der Marsch durch die Institutionen abgeschlossen war, blieb die vom Zusammenbruch des Staatssozialismus abgeklärte Ostlinke aufgeklärt.

Die Super-Zeitung und –Illu machten im 91-er Jahr, in dem ich abwechselnd im DDR-Neubau in Magdeburg und im Vorkriegs-Altbau in Berlin (Ost) lebte, mit der höheren Orgasmus-Rate der ostdeutschen Bevölkerung Auflage. Ob das Datenmaterial nun bis zur letzten Ziffer hinterm Komma stimmte oder nicht – tatsächlich geht es in einer Gesellschaft, in der nicht die individualistische Performance im tagtäglichen Wettlauf der Individuen im Vordergrund steht, sondern Weisen des Miteinanders, existenziell entspannter zu.

Im Westen gab es so eine Entspannungsphase in den 60-er und 70-er Jahren auch: Das Wirtschaftswunder schuf die breiteste Mittelschicht aller Zeiten unter kapitalistischen Verhältnissen und damit das vorherrschende Empfinden: Jeder kann was werden und es zu etwas bringen. Ohne unbedingt ständig die Ellbogen ausfahren zu müssen, es waren genug Stellen für alle da. Ja, mehr als genug, weshalb man im Ausland Millionen von Menschen anwarb, die mit ihrer Arbeitskraft sicherstellen sollten, dass der Laden läuft.

Diese Ausnahmesituation lässt sich nicht wiederherstellen – man profitierte ja auch real von weltweiten Ungleichheiten, die derzeit unter allerlei Begleit-Turbulenzen abschmelzen – siehe China, Schwellenländer usw. Mit der Ostlinken ist das anders. Sie ist die Produktion von Glück unter wirtschaftlichen Mangelbedingungen gewohnt. Also flexibler. Sie ist zudem weniger elitär (und damit weniger Unterschicht-erzeugend, denn wo oben ist, muss auch unten sein) und mehr egalitär. Im wahren Klischee: Der Professor neben der Putzfrau in der Platte. Das ist genau das Gegenbild zur Rechten, die auf Ungleichheit setzt.

Vielleicht erforschen russische Wissenschaftler mal den Einfluss dieses Gedankengutes auf den Gang der Geschichte. Es muss ja nicht herauskommen, dass Putin die historisch einzig gebotene Antwort ist.

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