Zwischen den Worten „Wie wollen wir leben – frei, sicher und tolerant?“ steckt die Sehnsucht, über Migration zu sprechen, das legten schon die weiteren Sätze der Einladung nahe. Doch sie bricht sich erst Bahn, als die Live-Sendung des Deutschlandradio Kultur fast am Ende ist. Aber das „Forum Frauenkirche“ spricht danach noch eine Stunde weiter, und so geht’s durchs jetzt fragend einbezogene Publikum zur Sache.

Der Schönheitsfehler des schönen Gesprächs: Auf dem Podium vor dem Altar sitzen fünf Menschen mit ausschließlich westdeutschem Geburtsort. Immerhin einschließlich Moderatorin drei Frauen. Dafür stellen fast nur Männer Fragen, und das im Regelfall, egal ob ohne oder mit Migrationshintergrund, mit schier endloser feuilletonistischer Einlaufkurve. Es lebe die quotierte Diskussionskultur – hätte immer erst dann ein Mann reden dürfen, wenn vorher eine Frau zur Wortmeldung ermuntert worden ist, wäre der intellektuelle Unterhaltungswert größer gewesen.

Das unvermeidliche Gepöbel gibt’s ganz zum Schluss auch noch – aber nur ein bisschen. Gerufene Heuchelei-Vorwürfe und ein aufgeregt hochgehaltenes Plakat, das ich erfreulicherweise aus der Ferne nicht entziffern kann. Doch die wie immer gut vorbereitete Moderatorin Alexandra Gerlach hat mit sanfter Strenge alles im Griff. Und dem online präsenten MDR bleibt Skandal-Berichterstattung erspart.

Laut Frau Gerlach ist die Diskussion ein Gespräch. Herr Bolz führt zunächst mehrfach donnernden Applaus durch kryptische, aber in bestimmtem Tonfall vorgetragene Bemerkungen herbei, das eigentliche Problem sei nicht die Politik, sondern die „vermittelte Wirklichkeit“ in den („Mainstream“-)Medien (Journalisten als „Oberlehrer“), die irgendwie zu sehr von „political correctness“ dominiert seien. Da man sich schnell darauf einigt, nicht im Talkshow-Stil zuspitzen zu wollen, bleibt unerklärt, was Herr Bolz damit eigentlich genau sagen will – außer seiner apodiktischen Position, er sehe derzeit nicht, wie ein Dialog möglich ist.

Der Klartext bleibt Herrn de Maizière überlassen, der unter großem Publikumszuspruch einer Flüchtlingshelferin beibringt, dass die Notwendigkeit der Abschiebung eines Afghanen von der Rechtslage abhängig sei und nicht davon, ob der Betroffene irgendwelchen Flüchtlingshelfern sympathisch ist. Frau Münkler zählt typisch Deutsches auf: dass man von seiner Arbeit leben will, Religion Privatsache sei undsoweiter. Außerdem sei das unbedingte Bekenntnis zum Grundgesetz wichtig.

Herr de Maizière ergänzt, dass zum Deutschen auch die Kultur dazugehöre, und da sei die Religion so ganz privat wie in Frankreich doch nicht, der Staat habe zu den Kirchen ein freundliches Verhältnis. Im Übrigen gehe es in der Politik nicht um Wahrheit, sondern um Meinungen und Bewertungen.

Frau Ackermann rät, nicht nur über Werte, sondern auch Wertewandel zu sprechen. Die jungen Leute nähmen Abschied vom Materialismus und pflegten Share-Ökonomie: Gebrauchsgüter teilen und leihen, statt sie allein zu besitzen. Die Demokratie sei im besten Fall wie eine ständige Konferenz. Frau Münkler wiederum findet die direkte Demokratie problematisch, weil die Mehrheit dann wahrscheinlich auch mal für die Todesstrafe stimmen würde.

Gelentlich schwirren Kopftücher, politischer Islam, Muezzin-Rufe und „türkische Clans“ (Gerlach) thematisch durch den Raum. Irgendwie herrscht wohl Einigkeit, dass Kirchengeläut gut ist und Muezzin-Rufe erträglich sind, wenn sie mehr oder weniger nur die angesprochenen Muslime vernehmen. Herr de Maizière findet auch die historische Erfahrung „deutsch“, dass Migration nutzen kann.

Ob der Uhrmacher aus Glashütte mit den Antworten des Podiums zufrieden ist, weiß ich nicht. Er hat der Polizei vorgeworfen, in Dresden den Hooligans das Feld zu überlassen. Frau Münkler findet es „schwierig“, wenn auf der Straße „Kalifat NRW“ gerufen wird. Und Herr de Maizière würdigt das „rege Demonstrationsgeschehen“, wünscht sich aber weniger Einsatzstunden der Polizei.

Was machen wir jetzt mit all den Gedanken? Verdauen – und essen gehen 😊.

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