„Mögen die Frauen machen, was sie wollen – wenn die Männer ihre Tage haben“, dekretiert diese kecke Werbung für ein hochprozentiges Getränk. Auf der Herrentoilette eines Restaurants mit tschechisch-italienischer Küche im Schluckenauer Zipfel. Das Spiel mit bohemischer Lebensart passt gut ins Böhmische, weshalb ich mich da immer zu Hause fühle. Die Leichtigkeit des Seins wird auch durch die nur mäßig verplante Landschaft mit vielen Freiflächen ausgestrahlt, die man auf deutscher Seite Brachland nennen würde.

Das interkulturelle Spiel lebt von zwei Fähigkeiten. Sich neben sich selbst stellen und sich aus gewisser Distanz zugucken können. Und aus dieser Beobachtung heraus immer wieder einen kleinen neuen Anfang machen können. So bleibt der Mensch zugleich authentisch und dialogbereit. Denn wer neben sich stehen kann, ist näher an anderen dran. Das Neue, was man macht, ist dann einerseits das Eigene, nimmt aber auch Impulse der anderen mit auf.

Lange erlag auch ich dem landläufigen Irrtum, es gebe leichter und schwerer integrierbare Kulturen. Die eher säkularisierten, rationaleren und die konservativen, in Tubus befangenen. Doch das ist Quatsch, wie mich zweieinhalb Jahre Umgang mit Flüchtlingen gelehrt haben. Zum besseren Verständnis ein kurzer Exkurs ins Innerdeutsche.

Ossis und Wessis sind sich, verglichen mit Sachsen und Syrern, sehr ähnlich. Dennoch werden die im Grunde geringen Unterschiede seit einem Vierteljahrhundert hingebungsvoll kultiviert. In Wissenschaft; Literatur, Medien, an Stammtischen. Auch dass Brandenburger und Sachsen verschieden sind, gilt als unstrittig. Kein Brandenburger käme auf die Idee, sich aus sächsischer Perspektive zu betrachten. Die kleinen regionalen Unterschiede haben Bestandsgarantie, und so will es unsere föderale Philosophie auch.

Zurück zu meinen Migranten-Gefährten. Der eine ist konservativ in dem Sinne, dass sein ganzes Leben und Denken von religiös begründeten Dingen geprägt ist. Er vermag sich jedoch aufgrund seiner Belesenheit aus dem Blickwinkel anderer zu betrachten und eigenes Verhalten so zu relativieren. Und er ist neugierig auf neue, ungewohnte Erlebnisse, die er genussvoll mit Ironie auszuwerten vermag. Er stellt damit, egal wo er ist, freundliche Nähe her und überbrückt den vergleichsweise großen kulturellen Unterschied. Nebenbei lernt nicht nur er täglich viel hinzu, sondern auch die, denen er begegnet, über das Leben in seiner früheren Heimat.

Andere machten scheinbar sehr schnell fast alles mit, weil sie es gewohnt sind, sich ohne große Reflexion an jedwede Umgebung geräuschlos anzupassen. Das fällt ihnen leicht, weil sie kein Buch und keine wissentliche Bindung kennen. Doch Nähe im Sinne eines echten Austausches über Verschiedenheit entsteht selten und verliert sich schließlich. Und Schritt für Schritt zieht sie die Macht der stärkeren, weil in der Vergangenheit eingeübten, Gewohnheit in das Kumpel-Milieu, das vermutlich in der Shisha-Bar der sächsischen Kleinstadt so funktioniert wie einst in der Freizeit in der syrischen Großstadt 😊.

Das ist wie mit den Locations in Magdeburg wie Leipzig oder anderswo, wo noch Jahre nach der Einheit die „Wessis“ geballt verkehrten. Der „Sachsensumpf“, der 2007 das Land erschütterte, war im Kern eine Geschichte über das tatsächliche und mutmaßliche Fädenspinnen westdeutscher Arbeitsmigrantenmilieus, die beim Bier gerne unter sich blieben. Das Problem – siehe Nachwuchs-Rekrutierung an den Unis zum Nachteil junger Ostdeutscher – ist immer noch nicht ganz gelöst 😉.

Die Geschichte interkultureller Nähe und Distanz wird weitergeschrieben. In weiteren zweieinhalb bzw. 25 Jahren wird wieder vieles anders aussehen.

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