Kulturell sind die Sorben gut drauf wie seit Menschengedenken nicht – nur ein Beispiel: So viele Bands junger Leute, die auf geradezu professionellem Niveau in ihrer Freizeit sorbische Musik machen, gab es wahrscheinlich noch nie. Sie bereichern damit unzählige kleinere und größere Events in der sorbischen Lausitz, wo Menschen unterschiedlichster Herkunft miteinander Spaß und gute Unterhaltung im doppelten Wortsinn haben.
Politisch nach außen präsentiert sich das sorbische Volk wie immer (man lese nach in der Gesellschaft von Weimarer Republik, Nachkriegs- und Wendezeit) mehrstimmig. In der aktuellen sächsischen Schulgesetz-Novellierungsdebatte mit drei von einander abweichen Voten: Die Initiative für ein sorbisches Parlament (deren Köpfe häufig hervorheben, auch Mitglied der Domowina zu sein), der Sorbische Schulverein (Bestandteil der Domowina und in ihrem Bundesvorstand mit Sitz und Stimme präsent) und der Sorben-Dachverband Domowina selbst.
Im Zeitalter der beiden großen globalen Sehnsüchte nach Identität und Autonomie bewegt natürlich auch die sorbischen Leute die Frage, wie sie bei diesen großen Themen Frieden mit sich selbst finden. Dass die Sorben kulturelle Autonomie haben und diese auch über die Stiftung für das sorbische Volk ordentlich gefördert bekommen, ohne sich unterwerfen zu müssen (wenn die sorbischen Vertreter im Stiftungsrat einig abstimmen, ist es guter Brauch, dass sie von den kommunalen und staatlichen Repräsentanten nicht überstimmt werden), ist bei vernünftiger Betrachtung unstrittig.
Die im Crostwitzer Schulstreik von 2001 anlässlich der vom damaligen Kultusminister Matthias Rößler betriebenen Schließung der dortigen – gemessen an der Sprachsubstanz „sorbischsten“ – Mittelschule geforderte Bildungsautonomie haben wir bisher nicht erreicht. Das liegt aber nicht an der vermeintlich fehlenden Volksvertretung, sondern an der Mehrheitsmeinung quer durch Sejm-Initiativgruppe und Domowina-Vereine, dass der „Staat nicht aus der Verantwortung für die sorbischen Schulen entlassen werden darf.“
Der in Deutschland für Bildungsautonomie verfassungsrechtlich vorgesehene Weg ist die staatlich anerkannte Schule in freier Trägerschaft, die der Staat fast komplett finanziert. Eine solche sorbische „Musterschule“ wäre auch ein Anreiz für den Staat, sich um das Sorbische an den Schulen in seiner Verantwortung besser zu kümmern. Mit dieser Dialektik arbeiten die Kirchen mit ihren konfessionellen Schulen, die ja den Staat auch nicht aus der Verantwortung für religiöse Menschen entlassen.
Der „Bildungs-Gipfel“ der Sorbenparlament-Befürworter neulich in Bautzen begab sich aber nicht auf diese Baustelle, sondern unternahm einen Ausflug in Luftschlösser. Darunter eine sorbische Universität in Bautzen und Cottbus. Jězusmarja, wer braucht das? Noch nie zuvor habe ich irgendwo von irgendjemandem eine andeutungsweise Äußerung dieses Wunsches vernommen. Und ich bin fest im Kreise der Hardcore-Sorben verwurzelt, die in ihren Familien jedes Eindringen von Deutschsprechen zielstrebig und zügig wegassimilieren 😊.
David Statnik, Vorsitzender der Domowina, hat mit seiner Anwesenheit beim „Bildungs-Gipfel“ der Sejm- Lobbyisten eine neue Ära der sorbischen politischen Kommunikation eingeläutet: Der abgeklärte Dachverband, gesegnet mit 105 Jahren politischer Lebenserfahrung in fünf gesellschaftlichen Systemen, im Bewusstsein eigener historischer Heldentaten und Peinlichkeiten, fühlt sich in seinen Kreisen nicht mehr durch schrille konkurrierende Stimmen gestört, sondern stellt sich ihnen. Mit dem Angebot, im Gespräch zu sein – innerhalb und außerhalb des Dachverbandes, so wie es den einzelnen Akteuren auf dem Feld des Sorbischen beliebt.
So hat die Politik der Domowina von ihrer eigenen Kultur gelernt. Wo gibt es eine zweite Vereinigung unter der Sonne, wo Menschen regelmäßig gleichzeitig in zwei bis drei Sprachen (Obersorbisch, Niedersorbisch, Schleifer Sorbisch) miteinander beraten wie im Domowina-Bundesvorstand, seinem Präsidium und den Ausschüssen? Wo Katholiken, Evangelische, Christen, Nichtchristen, Sozialisten, Konservative, Grüne, Handwerker, Wissenschaftler, Unternehmer, Sozialarbeiter, Studierende und Rentner im Dienste eines inklusiven Gemeinwohls konsensorientiert zusammenwirken?
Die Spaltung der Gesellschaft und der Welt sowie ihre zivilisierte Überwindung abseits von Trumpismus, Pegidismus, aber auch wohlstandselitärer Schönrednerei ist das Megathema unserer Zeit. Die Domowina braucht da ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Mit einer Stimme sprechen – das machen weder die EU noch der sächsische Landtag. Man sollte sich von der Erwartung verabschieden, ausgerechnet das kleine, hochgradig ausdifferenzierte sorbische Volk müsse das tun.
Wichtiger ist die berechtigte Hoffnung, dass letztendlich nicht die lauteste, sondern die vernünftigste Stimme größtmögliche Wirkungsmacht entfaltet. Wenn unsere syrischen Kurden, von denen es ja Millionen gibt, wieder mal sehen und merken, welchen Stellenwert bei uns eine Sprache hat, die gerade mal in einer Handvoll Dörfer Mehrheits-Kommunikationsmittel ist, sagen sie: So wie in Sorbistan wollen wir das in Kurdistan haben.
Der Autor dieser Zeilen Piwarc hamburgski alias Marcel Brauman(n) und insofern befangen, als er in Domowina-Bundesvorstand und Präsidium sowie als Vorsitzender des Ausschusses für Lobbyarbeit (und natürlich Mitglied in drei sorbischen Vereinen 😉) als Wahlsorbe mit Migrationshintergrund zu den selbstgewählten Schwerpunkten Sprache/Bildung, innersorbischer Dialog, Braunkohle-Schadensbegrenzung und sorbische Willkommenskultur arbeitetet, empfiehlt für den Diskurs über die sorbische Zukunft als idealen Ort das Café 😊. Der sorbische Direktor der Sorben-Stiftung hat das schon gemacht – und im letzten Herbst am Tag nach der unter Regie sorbischer Studierender stattfindenden Schadźowanka zum Thinktank-Brunch geladen.
Das Foto zeigt mich allerdings nicht in einem Lausitzer Café, sondern im polnischen Kraków. Da können wir uns als slawische Kosmopoliten selbstverständlich auch treffen 😊. Wir sind grenzenlos, deshalb habe ich ja auch seit neun Jahren einen sorbischen und seit einigen Monaten einen deutschsprachigen Blog auf Basis des Piwarc bei WordPress. Diese globale Plattform werde ich unabhängig von Weltpolitik weiter ohne Berührungsängste nutzen 😉.
„David Statnik, Vorsitzender der Domowina, hat mit seiner Anwesenheit beim „Bildungs-Gipfel“ der Sejm- Lobbyisten eine neue Ära der sorbischen politischen Kommunikation eingeläutet: Der abgeklärte Dachverband, gesegnet mit 105 Jahren politischer Lebenserfahrung in fünf gesellschaftlichen Systemen, im Bewusstsein eigener historischer Heldentaten und Peinlichkeiten, fühlt sich in seinen Kreisen nicht mehr durch schrille konkurrierende Stimmen gestört, sondern stellt sich ihnen. Mit dem Angebot, im Gespräch zu sein – innerhalb und außerhalb des Dachverbandes, so wie es den einzelnen Akteuren auf dem Feld des Sorbischen beliebt.“
Es wäre nur zu schön gewesen, wenn Herr Statnik das Angebot im Gespräch zu sein (welches im Übrigen von der Sejm-Initiative ausging) auch wahrgenommen hätte und der Veranstaltung auch bis zum Diskussionsteil beigewohnt hätte und sie nicht schon vor Ende des ersten Vortrages verlassen hätte.
Ich zweifle nicht an der Expertise und Erfahrung der Domowina und ihres Vorsitzenden. Ich zweifle sehr wohl an dem von ihr immer postulierten Willen auch wirklich ins (öffentliche!) Gespräch zu kommen. Stattdessen werden „Kaffeediplomatie“ auf individueller Ebene, nach dem Motto ‚Divide et impera‘, und symbolisches ’sich-vor-den-Kameras-zeigen‘ praktiziert, was offenbar publikumswirksam genug ist, um auch so in diesem Blog so interpretiert zu werden. Kooperation, die sich alle Seiten und auch das sorbische Volk wünschen, sieht anders aus.
Im Übrigen lege ich Ihnen, knježe Piwarco, ans Herz sich gerne mal an den Veranstaltungen der Initiativgruppe Serbski Sejm zu beteiligen, beziehungsweise mit den Besuchern solcher Veranstaltungen mal ins Gespräch zu kommen. Dann werden Sie schnell feststellen „Wo es eine zweite Vereinigung unter der Sonne [gibt], wo Menschen regelmäßig gleichzeitig in zwei bis drei Sprachen (Obersorbisch, Niedersorbisch, Schleifer Sorbisch) miteinander beraten […] Wo Katholiken, Evangelische, Christen, Nichtchristen, Sozialisten, Konservative, Grüne, Handwerker, Wissenschaftler, Unternehmer, Sozialarbeiter, Studierende und Rentner im Dienste eines inklusiven Gemeinwohls konsensorientiert zusammenwirken.“
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Ich – Piwarc – war zwei Mal bei Terminen der Sejm(ik)-Initiative – in Nebelschütz. Da wurde zunächst überwiegend deutsch geredet, wie offenbar bei den Terminen zuvor auch. Auf Anregung eines Teilnehmers, die ich natürlich unterstützt habe :-), wurde dann Stück für Stück der Weg in die sorbische Beratungskommunikation gegangen, mit begleitender Übersetzung für die, die der Sprache nicht mächtig sind. Ja so wězo wjeselu, zo je tute wuwiće wočiwdnje mjeztym dalši postup wunjesło.
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Na zjawnych zarjadowanjach iniciatiwneje skupiny Serbski Sejm staj hornjo- a delnjoserbsćina hižo přeco lingua franca (abo lěpje linguae francae?! Y U no dual, Latin?!) byłoj a poskitk simultaneho přełožka je standard (hdyž njeje runje krótkodobnje schorił, kaž pola kubłanskeho wjerška 14.01.2017). Njejsym hač dotal hišće na hłownych zhromadźiznach Domowiny był, ale je to tam tež z wašnjom? Na kotre wašnje hewak so w Domowinje němskorěčni Serbja do diskusije integruja?
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Ze simultanym přełožowanjom. W Domowinje njeje serbšćina lingua franca, ale jednanska rĕč.
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Hm. The more you know.
Připódla: dźensa w SN:
Bjez zbliženja njeńdźe
póndźela, 30. januara 2017
Na wuradźowanjach Zwjazkoweho předsydstwa Domowiny słyšiš nimo chutnych politiskich rozmyslowanjow tež tón abo tamny žort. Tak bě to tež minjenu sobotu w Choćebuzu. Diskusija wo noweli sakskeho šulskeho zakonja pak njebě žortna. Na jednym boku spyta předsyda Domowiny za wuslědk wabić, z kotrymž móhli wšitcy wobdźěleni, předewšěm Domowina a Serbske šulske towarstwo, žiwi być a na tamnej stronje třělachu „hardlinerojo“ kaž Jan Nuk a Monika Cyžowa přećiwo tomu. Prašam so, što poprawom chcemy: Wuslědk na dobro serbstwa abo tola njepřezjednosć a zwadu, štož wšak stajnje kritizujemy? Runje w politice měli tež ke kompromisam zwólniwi być a w zmysle naležnosće jednać. Namołwa woběmaj strono- maj tuž rěka so zbližić a zhromadny wuslědk nańć. To pak bjez kompromisow a zbliženja njeńdźe. Tuž měło tež dowolene być, wo bywšich wobzamknjenjach hišće raz rozmyslować. – Janek Wowčer
Je to wona diskusijna kultura, wuslědk 105 lět „politisko-žiwjenskeho nazhonjenja“?
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Cituj prošu tež moje wuprajenja w ZP na prěnjej stronje SN 😊. To je moja wotmołwa na Twoje prašenje.
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