Bassam Tibi sieht im aktuellen „Cicero“ eine Gefährdung der inneren Sicherheit durch jugendliche „Troublemakers“ aus Nahost und Afrika. Es handele sich um die Zugehörigen einer demografischen „Jugend-Blase“, die infolge des Staatenzerfalls ohne Platz in der dortigen Gesellschaft sei. Daher habe sie sich, gestützt auf ihre Smartphones, auf den Weg ins gelobte Europa und vor allem ins von Frau Merkel im Herbst 2015 willkommenskulturell profilierte Deutschland gemacht. Hier sorge sie nun in Jugendbanden für aufmerksamkeitsheischenden Lärm auf den Straßen unserer Städte – wie schon zuvor in ihrer Heimat. Deshalb müsse man diese Debatte enttabuisieren, und das könne sich er, Tibi, auch erlauben, ohne als Rassist beschimpft zu werden, schließlich sei er in Damaskus geboren.

Mir als Lausitzer Wahlsorben mit Hamburger Migrationshintergrund ist sowieso egal, wo jemand geboren ist, und ich werde mir auch nicht anmaßen, über die wissenschaftliche Kompetenz eines prominenten Islamologen und Sozialwissenschaftlers zu urteilen. Ich bin auch kein Historiker, aber selbst bei minimaler laienhafter Beschäftigung mit der Geschichte von Aus- und Einwanderungen – und sei es im 19. Jahrhundert von Europa und auch der Lausitz in die USA – kann man wissen, dass dies der Regelfall von Migration seit Menschengedenken ist: Wo mehr junge Menschen sind, als die entsprechende Gesellschaft unterbringen kann, und es vor Ort auch kein intaktes Gemeinwesen mehr gibt, da suchen Menschen den Weg dorthin, wo sie einen möglichen sicheren Platz für sich vermuten. Und sei es in Ländern mit relativ viel Wohlstand und vergleichsweise wenigen Kindern. So what?

Dass die Masse der Migrierenden nicht aus Spitzenforschern besteht, ist auch nichts Neues. Denn die absolute Bildungselite war schon vor Jahrhunderten kosmopolitisch orientiert, landesungebunden, sie geht bei Bedarf mal hier, mal dahin, ohne dass man von Ein- oder Auswanderung reden würde. Siehe Herrn Goethe. Aber wir können nicht alle wie Goethe sein, egal ob autochthone, allochthone Minderheit oder sesshafte Mehrheitsbevölkerung, deren globale Mobilität sich im Wesentlichen auf die Urlaubszeit beschränkt. Normalerweise sucht der Migrant – wie auch der dauerhaft Ortsansässige – den Aufstieg, auch zu mehr Wissen. Auswanderung ist gewöhnlich die Flucht vor Rückständigkeit, und sei es der so empfundenen eigenen Lebensumstände.

Deshalb ist auch der erwachsene Analphabet üblicherweise willig, Deutsch zu lernen, wobei er selbstredend kein höheres Sprachniveau erreichen kann, als es dem Horizont des Begreifens in der Muttersprache entspricht. (Dass nicht alle Mitglieder jeder Großfamilie diesen Weg gehen, hat etwas mit den Binnenverhältnissen solcher Familien zu tun, ist aber in Tibis Polemik insofern deplatziert, da er sich ja in dem Beitrag ansonsten mit Warnungen vor einer Gruppe hervortut, die gern als „allein reisende junge Männer“ beschrieben wird.) Er ist auch zumeist arbeitswillig und –fähig, wenn ihm nicht ein ihm fremder, schier endloser formaler Bildungskanon aufgedrängt wird, dem er sich dann aus berechtigter Furcht vorm Scheitern entzieht. Aber das Thema hatten wir hier schon.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Vermarktung von Politikwissenschaft heutzutage häufig so abläuft, dass ein kursierendes Vorurteil wissenschaftlich „untersetzt“ wird. Die einen phantasieren dann romantisch von „neuen Deutschen“, die anderen von einem personifizierten Sicherheitsrisiko. Vielleicht gewöhnen wir uns mal daran, Menschen einfach als Leute wie du und ich zu betrachten, die bei realistischer anthropologischer Betrachtung so ticken wie wir selbst. Statt sie als Projektionsfläche unserer Ängste oder Sehnsüchte zu missbrauchen.

Ich habe seit zwei Jahren mit mehreren dieser angeblich potenziellen „Troublemakers“ zu tun, die bisher weniger Trouble gemacht haben als ein durchschnittlicher einheimischer Jugendlicher. Wir wohnen und wohnten mit ihnen zusammen, schätzen ihre ausgeglichen-beruhigende Anwesenheit in Wohnzimmer und Küche 😊. Nebenbei: Ich könnte mir übrigens gut vorstellen, unter welchen Umständen ich vielleicht selbst mal zum „Troublemaker“ geworden wäre. Die hergeflogene „Jugend-Blase“ könnte uns einigen gesellschaftlichen Aufwind bringen. Wenn wir sie nicht wahlweise beargwöhnen, sozialtechnisch verwalten oder idealistisch beschmusen, sondern die mit diesem merkwürdigen Wissenschaftler-Wort eingefangenen jungen Leute einfach in die Mitte unseres Alltagslebens hineinnehmen. Was wir täglich von ihnen lernen können, ist Neugier im positiven Sinne. Und dann heben wir gemeinsam ab.

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