Das Feiern unterscheidet Sorben und Deutsche – neben der Sprache – mehr als alles andere. Beispiel: Die Goldene Hochzeit meiner Schwiegereltern fand damals im engsten Familienkreis statt – mit 86 Menschen. Der große Saal der Gaststätte in Crostwitz war gut gefüllt. Selbstverständlich gibt es auch Feste, bei denen liebe Nachbarn oder „Wahlverwandte“ mit dabei sind.

Ganz davon abgesehen, dass die (in unserer Zeit überwiegend katholischen) sorbisch sprechenden Menschen durchschnittlich mehr Kinder haben und ihren Familien-Bezugskreis großzügiger definieren als ihre deutschen Nachbarn, gibt es eine weitere wesentliche Besonderheit: Es sind im Regelfall vier Generationen anwesend, die Zusammensetzung der Gäste ist altersmäßig stark gemischt.

Das hat mit zunehmendem Alter wachsende Vorteile: Sitzen betagte Deutsche bei der Geburtstagsfeier vor allem im Kreise gleich und ähnlich Altriger, mit denen man sich über aktuelle Krankheiten und die im Verlaufe des Jahres Gestorbenen austauscht, befinden sich die alten Sorben inmitten von Jugend. Letztere kümmert sich mit sorgfältig einstudierten Musik-Darbietungen und kunstvoll-launigen Gedichten um die Grundlage guter Stimmung.

Überhaupt sind sorbische Feste Mitmachveranstaltungen. Es wird viel gemeinsam gesungen. Man beherrscht zumeist zahllose Strophen bei fast jedem Lied. Und wenn den deutschen Gästen zuliebe auch deutsches Liedgut angestimmt wird, beherrschen es die Sorben besser 😊.

Wegen der viel größeren Familien, Bräuche wie Kirchweih mit wechselseitigen Besuchen, da das Ereignis in jeder Gemeinde an einem anderen Sonntag liegt, und der überdurchschnittlich häufigen Mitgliedschaft in Chören und anderen kulturellen Zirkeln feiert der Sorbe statistisch mindestens ein Mal jede Woche. Zieht man die feierarme Fasten- und Ferienzeit ab, ist die Feier-Frequenz in der übrigen Zeit entsprechend höher.

Gegessen wird immer gut, egal ob der Starter sorbische Hochzeitssuppe oder Antipasti ist. Der soziale Sinn der Feierei ist dabei eindeutig: Dass jeder mit jedem irgendwann mal beiläufig ins Gespräch kommt. Natürlich kann man nicht jedes Mal mit allen Gästen reden, aber man sieht sich ja jedes Jahr mehrmals.

Ergebnis ist eine atmosphärische Harmonie, die auch dem italienischen Wirt in Görlitz, in dessen Hände wir den Rahmen unserer rauschenden Familienfeier vom letzten Wochenende gelegt hatten, sofort aufgefallen ist. Zugleich gefiel ihm das aktive Mitmachen der Gäste, die sich nicht hinsetzen, um sich passiv bespaßen zu lassen.

Geld spielt natürlich generell keine Rolle, die Feier-Kultur rechtfertigt jede private Investition, insofern verhalten sich Sorben orientalisch. 😊 Sozialkapital ist hier wertvoller als Statuskapital. Man feiert, um sich gegenseitig eine Freude zu machen. Das klingt wie heile Welt und ist es auch.

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