Der Wolf, den wir bei Rosenthal sahen, zeigte nicht das stets gepredigte arttypische Verhalten: Auch nachdem wir mit dem Auto angehalten hatten, sprang er in geringer Entfernung auf dem freien Feld hin und her, als wenn nichts wäre. Von wegen schüchtern und Nähe zum Menschen meidend. Mein Schwager, der auch Jäger ist, hat das schon längst prophezeit: Wenn der Wolf merkt, dass ihm und Seinesgleichen nichts passiert, wird er seine Scheu ablegen. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass er irgendwann über uns herfallen wird, aber vor allem die Schafe hat er im Visier.
Und damit neunzig Prozent der Bevölkerung gegen sich, wie mir immer wieder bestätigt und bekräftigt wird. Der Wolf polarisiert in der Lausitz extrem. Hier auf den Dörfern ist es für alle Leute ab einem gewissen Lebensalter traditionell Normalität, dass man irgendein Viehzeug hat, seien es Schafe oder schlicht Kaninchen. Und jeder weiß, wie viel Mühe in einem herangewachsenen Schaf steckt. Wird das vom Wolf gerissen, geht es den Menschen in der Nachbarschaft ans Herz.
Hinzu kommt die Verbitterung über den empfundenen latenten Vorwurf der im Staatsauftrag handelnden Wolf-Verantwortlichen, die Betroffenen hätten eben ihre Schafe nicht genug geschützt und seien im Grund selbst schuld an der Tragödie. Das sei eine Frechheit, wisse doch jeder, dass es ein schier unzumutbarer Aufwand sei, ständig Zäune zu ziehen und dann auch noch über ihnen das geforderte Flatterband anzubringen.
Ganz grundsätzlich wird bei jeder Geburtstagsfeier irgendwann anklagend festgestellt, „der Staat“ habe den Wolf eingeschleppt und der Bevölkerung gegen ihren Willen aufgezwungen. Diese Maßnahme wird als Teil eines politischen Vergrämungsprogramms gegen die hier lebenden Menschen gesehen. Erst wurden ihnen viele Arbeitsplätze geklaut, geblieben ist überwiegend schlechter bezahlte Beschäftigung. Die Landschaft wird durch Braunkohle- oder Kaolin-Gruben sowie gigantische Mastanlagen in Anspruch genommen, nun ist die Lausitz noch als potenzielles Atommüllendlager im Gespräch.
Das Gegenargument, der Wolf sei aus Polen eingewandert und werde aus Naturschutzgründen geschützt, findet keinerlei Akzeptanz. Denn das sei nur die halbe Wahrheit, faktisch werde die immer stärkere Verbreitung des Wolfes mit großem Aufwand gefördert, sein Bestand nicht reguliert. Für die Verhätschelung wachsender Wolfsbestände würden Millionen ausgegeben, für die Schulen aber habe der Staat kein Geld gehabt. In manchen kleinen Dörfern gibt es keine Kinder mehr, aber die Waldarbeiter können beim Agieren mit ihrem geräuschvollen Großgerät nebenbei auf ihrem Smartphon Bilddokumente von Wölfen anhäufen, die in wenigen Metern Entfernung stehen bleiben und ihnen bei der Arbeit zugucken.
Ich habe keine Schafe, ein entsprechendes Projekt ist schon in der Planungsphase an der Feuchte unserer großen Wiese gescheitert. Ansonsten hätte ich den Gartenzaun zum Feld hin aufrüsten müssen, denn wir befinden uns im unmittelbaren Einzugsgebiet eines Wolfsrudels. Ich habe persönlich nichts gegen Wölfe, im Unterschied zu Hunden bellen sie nicht und beißen auch keine kleinen Kinder. Viel wird zurzeit über „Problemwölfe“ geredet, aber was Problemhunde anrichten, kann man des Öfteren in der Zeitung lesen.
Unter der Hand erzählen dir auch Leute mit Waldbesitz, eigentlich müssten sie dem Wolf dankbar sein. Der Wildverbiss, also die Schäden an den Bäumen, hätten stark abgenommen, seit die Wölfe die Wildbestände regulierten. Besser und effektiver als die Jäger selbst. Aber das könne man ja eigentlich öffentlich nicht sagen. Geredet hat der CDU-Landrat, er ruft nach Abschuss von Wölfen. Das soll der CDU ihre wolfspolitisch verbitterte Anhängerschaft retten. Dass der Herr Landrat in dieser Frage gar nichts zu entscheiden hat, interessiert kaum. Unstrittig ist, dass mit offensivem „Pro Wolf“ nur die Grünen Punkte sammeln können, die aber hier sowieso unterrepräsentiert sind. Feststeht: 2017 wird weitere Zuspitzung der Wolfsdebatte bringen – mit jeder dezimierten Schafherde.