Den Kulturkampf um die Ent- und Verhüllung führt jede Generation neu. Zwängte sich die Jugend des späten 20. Jahrhunderts in engstmögliche Hosen, lässt der Nachwuchs des frühen 21. seine stoffliche Hinterteilbedeckung in den Kniekehlen schlabbern. Informationen über die Gestaltung der körperlichen Vorder- und Rückseite unterhalb der Gürtellinie werden also der Öffentlichkeit vorenthalten, dafür aber wird ihr schon bei geringer Körperbewegung die Marke der Unterhose vor Augen geführt. Früher ein schwerer Tabubruch.
Die gleiche Akzentverschiebung ist bei der Vermeidung richtig kurzer Hosen bei jungen Männern auch in der Hochsommer-Freizeit festzustellen, denn zum Ausgleich werden ganzjährig und auch bei zwanzig Grad unter Null mit kostspieligen Löchern tiefe Einblicke in Haut und Haar gegeben. Und so weiter: FKK ist bei jungen Paaren am Strand out, aber der ausgiebige Aufenthalt in der gemischten Sauna (-landschaft) ein Wellness-Trend. Und die Älteren machen beides.
Das sich dem Ende zuneigende Jahr brachte uns die Debatte um den Burkini, der in Berlin-Neukölln zur Badebekleidungskultur mit dazugehört, in einer Brandenburger Kuridylle dagegen Verstörung auslöste. Seien wir den Verhüllerinnen dankbar, denn der Reiz der Enthüllung lebt von der sichtbaren Existenz des schamhaften Verhüllens.
Was waren das für Heldentaten, als im Film mit Sekundenbruchteilen Nacktheit die Welt der Kultur bewegt werden konnte. Heute laufen Hardcore-SM-Szenen im normalen Kino, und leider ist selbst der letzte konservativste Dorfpfarrer unwillig, zum bedeutungssteigernden Protest aufzurufen. Die simulierte Sex-Szene auf der Bühne eines sächsischen Theaters, der ich ungewollt beiwohnen musste, war einfach nur eine ästhetische Zumutung. Was man wahrscheinlich nicht schreiben sollte, weil man dadurch in den Ruf verkappter Verklemmtheit gerät.
Das Ver- und Enthüllen wandelt sich natürlich auch ständig in der Sprache. Bei uns ist heute die vollständige Freizügigkeit des privaten und öffentlichen Redens über Intimitäten mehr oder weniger hergestellt. Wer davon mehr haben will als seine unmittelbaren Mitmenschen ihm zubilligen, befriedigt das Bedürfnis im Netz.
Während das Abendland für Enthüllung und Erfüllung steht, wird zurzeit das Morgenland mit Verhüllung und Versagung assoziiert. Tatsächlich stimmt das traditionell überhaupt nicht, wie „Spiegel Online“ in punkto Sprache und Körper überzeugend nachgewiesen hat („Ich küsste ihn unaufhörlich auf seinen schneeweißen Mund“):
http://m.spiegel.de/politik/ausland/a-1097850.html
Womöglich ist in manchem Hamam mehr los als in hiesiger Sauna. Es ist auch nicht gesagt, dass Menschen in Kulturen, in denen das Gefühlsleben weniger ausufernd verbalisiert wird, automatisch weniger vom Spiel der Erotik verstehen. Die Qualität erwächst ja nicht aus einer bestimmten Schamgrenze, die, wie oben gezeigt, auch bei uns fließend ist. Sondern aus dem raffinierten Spiel mit ihr, egal wo sie der regionale Zeitgeist gerade gezogen hat.