„Wer’s glaubt, wird selig“ meint offenkundig das Gegenteil des Gesagten. Der Glaube, egal ob an Gott, einen anderen Menschen oder eine Idee, bedarf im Deutschen latent der Rechtfertigung, dass er nicht in törichte Naivität führe.
Im Sorbischen ist das ganz anders. „Wěra“ ist der Glaube, „dowěra“ das Vertrauen. Mit der Vorsilbe „do“ wird die Vollendung zum Ausdruck gebracht. Wer klug genug ist, glauben zu können, findet auch zu berechtigtem Vertrauen. Dieser Begriff steht im Unterschied zu „selig“ für etwas unzweifelhaft Positives.
Deutsche und Sorben sind verschieden. Nicht weil die einen ein germanisches und die anderen ein slawisches Gen hätten, sondern weil ihre Sprachen sie anders denken und fühlen lassen. Die ethnische Differenz ist immer eine linguistische und sonst nichts – jedenfalls vom Standpunkt der Aufklärung aus.
Elisabeth Wehling hat in ihrem vielbeachteten Buch über den Bedeutungsrahmen von Begriffen („Politisches Framing“, was wir jetzt alle lesen, um verständlicher Politik zu machen und die nächsten Wahlen zu gewinnen 😊) an einem banalen Beispiel erklärt, wie die Verschiedenheit der Muttersprache eine Vielfalt der Weltwahrnehmung erzeugt.
Spanier und Deutsche haben beim Hören der Wörter „Brücke“ und „Schlüssel“ gänzlich verschiedene Assoziationen im Kopf – und das nur deshalb, weil das grammatikalische Geschlecht ein anderes ist; die Brücke ist im Spanischen männlich, der Schlüssel weiblich. Entsprechend denken die Sprecher/Hörer/Leser eher an „männliche“ bzw. weibliche Eigenschaften.
Kein noch so perfektes simultanes Übersetzungssystem kann diese Bedeutungsdifferenzen mitübersetzen. Jedenfalls noch nicht. Gute Übersetzer von Literatur machen natürlich genau dies, weshalb sie den Text nicht Wort für Wort übertragen, sondern nach gemeinten Sinnzusammenhängen.
Nun reicht unsere Lebenszeit nicht, um uns alle Sprachen der Menschen um uns herum bis hin zu muttersprachlicher Qualität anzueignen (würde ich das analog zum Sorbischen jetzt mit Kurdisch und Arabisch machen, wäre ich bestenfalls mit 80 fertig, zumal man schon mit 53 die Vokabeln aufwändiger einprägen muss als mit 37). Also bleibt nur die unvollkommene Verständigung in einer gemeinsamen Sprache – mit dem Nachteil, dass anders als im deutsch-sorbischen Ausnahmefall ansonsten nicht beide Seiten die angewandte Verständigungssprache gleich gut beherrschen.
„Deutsch für alle“ ist gut gemeint. Wenn man sich bewusst bleibt, dass man mit B1 nach Integrationskurs mit Deutsch im Alltag überleben kann, aber noch längst nicht in das Denken dieser Sprache integriert ist. Ich für meinen Teil konzentriere mich auf die Vermittlung strategischer Metaphern. 😊 Zum Schluss hier daher der Klassiker:
„Ich übernachte heute in Bautzen, ich schlafe mit einem Freund.“ „Na dann viel Spaß mit ihm im Bett; ich hoffe, er ist schön.“ „???!!!“ Dann folgt eine lustige Unterhaltung darüber, dass er vermutlich eher bei seinem Kumpel schläft, was wiederum nicht Beischlaf heißt, weil damit gemeint wäre, mit ihm zu schlafen, also Sex miteinander zu haben. Was auch in Ordnung wäre und gesagt werden darf, wenn man’s denn tatsächlich macht.
„Im Anfang war das Wort „, heißt es bei Johannes im Neuen Testament. An Ende ist das Missverständnis – und die Erlösung davon: durch ständiges Reden, wechselseitige Aufklärung und das Recht eines jeden, sich immer wieder entspannt in den eigenen Sprachraum zurückziehen zu dürfen, wo es nun mal am gemütlichsten ist.