Wir haben Besprechungen, Unterredungen, Chats, Smalltalks, kurze und längere Unterhaltungen, nicht zu vergessen die unvermeidlichen Sitzungen und Meetings. Und ab und an auch ein Gespräch.

In einem Gespräch kann prinzipiell über ALLES gesprochen werden. All das, was auf der Smalltalk-Tabuliste steht – Religion, Sex, ernsthaft Politik usw. –, ist hier zulässig und jederzeit möglich. Wer sich näher kennenlernen will, muss ein Gespräch miteinander führen.

Wohlgemerkt, es geht um das reine Gespräch ohne Zusatz wie „Personal-“, „Team-“ oder so. Der Reiz des Gesprächs liegt gerade in seiner grundsätzlichen Zweckfreiheit. Wenn die Beteiligten hinterher beglückt resümieren, es sei ein „schönes“ oder „gutes“ Gespräch gewesen, wollen sie ja damit zum Ausdruck bringen, dass es zu einem so (in dieser Intensität oder auch thematischen Breite) unerwarteten Austausch gekommen ist.

Ein hochverdienter Landtagsabgeordneter, der leider dem Parlament nicht mehr angehört und ein ebenso kompetenter wie unterhaltsamer Redner gewesen ist, sagte gelegentlich spaßeshalber: „Man weiß ja nie, wo es einen hinredet.“ Bezogen auf ein Gespräch ist das der Normalzustand. Deshalb wurzelt es direkt im großen Geheimnis des Daseins, das unseren kleinteiligen Alltag umgibt. Menschen, die ein gutes Gespräch geführt haben, gewinnen den Eindruck, dass sie sich nun richtig kennen. Die gesammelte Erkenntnis kann natürlich im nächsten guten Gespräch schon wieder relativiert und weiterentwickelt werden, so ist das Leben.

Ein solches Gespräch ist oft eine Sache von zwei Menschen, es können aber auch mehr sein. Eine Massenveranstaltung ist es jedoch nie. Das liegt an einer Grundbedingung des guten Gesprächs: Das Gesprochene darf niemals gegen einen der Gesprächsbeteiligten verwendet werden. In diesem Sinne kommt es dem „Beichtgespräch“ gleich, nur dass im weltlichen Gespräch nicht einer der Priester ist, sondern beide bzw. alle. Sie können sich daher auch wechselseitig vergeben.

Ich wage mal die These: Wer mit gewisser Regelmäßigkeit die Gelegenheit zu guten Gesprächen finden, hat weniger oder keinen Therapiebedarf. Ein Mensch kann im Extremfall ohne fast alles auskommen, er kann enthaltsam in vielerlei Hinsicht bleiben und muss dabei nicht zugrunde gehen. Aber was langjährige Einzelinhaftierte am schmerzlichsten vermissen, ist die Möglichkeit des Gesprächs. Mancher hat das nur durch den Übergang in ein Netz fiktionaler Gespräche überlebt, an denen er täglich im Kopf weitergebastelt hat.

Also mein Vorsatz für die Adventszeit: Mehr Zeit für Gespräche.

Ein Gedanke zu “Gutes Gespräch

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