DER Kirchenlehrer der Moderne und theologische Vater des II. Vatikanischen Konzils, Karl Rahner, nannte GOTT den UNBEGREIFLICHEN. Das ewige Geheimnis, das mit Staunen am besten anzubeten sei.
Die real existierenden Religionen verbreiten jedoch allesamt vorrangig nicht demütiges Stauen gegenüber „Gott“, sondern Kataloge von Gewissheiten. Statt der Hingabe ans absolute Geheimnis werden Regeln eingepaukt. Diese seien dankenswerterweise „offenbart“ worden, sodass man begriffen habe. Das aber ist kein Dienst am Unbegreiflichen, sondern dessen Abschaffung im Denken und Fühlen. Ein solches Verständnis von „Offenbarung“ kann nur ein abgrundtiefes Missverständnis sein.
Die hässlichste Frucht dieses religiösen Vergehens am Göttlichen ist die Angewohnheit, fremde Menschen erstmal und überwiegend nach tatsächlicher oder vermeintlicher Unterschiedlichkeit ihrer Lebensregeln im Vergleich zu „unseren“ einzuschätzen und zu bewerten. So wird aus dem Verzehr von Schweinefleisch eine scheinbar existenzielle Grundsatzfrage, während wir uns mit christlichen Veganern so lange nicht beschäftigen, wie sie nicht als geladene Gäste unser Abendessen durcheinander bringen.
Wenn jemand, der seit vielen Jahren keine Moschee von innen gesehen hat und Belehrungen durch Imame meidet, kein Schweinefleisch essen mag, weil ihm das irgendwie zuwider ist, mag dies eine kulturelle Gewohnheit sein, bei dessen Ausprägung die Religion mitgerührt hat. Mehr nicht. Insofern lohnt der ganze vergleichende Regel-Diskurs nichts. Er ist für den Alltag – das sage ich aus zwei Jahren praktischer tagtäglicher Erfahrung mit jungen sunnitischen Muslimen – schlicht sinnlos.
Leider neigen „religiöse“ Eltern dem Anschein nach besonders dazu, ihre Kinder mit festen Regeln und klaren Plänen für deren Leben zu traktieren. Wir aber wissen doch eigentlich alle: Die jungen Menschen, die uns anvertraut sind, ob in Form biologischer oder sozialer Elternschaft, gehören nicht uns, sondern sie sind – Kinder des unbegreiflichen „Gottes“. Und Liebe heißt, sie der Freiheit dieses Geheimnisses zu überlassen und ihr zu dienen.