Ich pflege als „Župan” der Domowina in der Region Hoyerswerda schon einige Zeit Dialog und praktische Kooperation mit den Leuten vom „Serbski sejm“. Wir sind als Dachverband schon von unserem satzungsmäßigen Selbstverständnis auf der Welt, um die Interessen des sorbischen Volkes und aller Sorben zu vertreten, die das möchten. Das ist, nebenbei bemerkt, der Vorteil basisdemokratischer Freiwilligkeit eines Vereins. Auf dieser verlässlichen Vertrauensbasis bin ich zugleich Anhänger des offenen Wortes. Auch gegenüber dem „Serbski sejm“.
Nun hat dieses Gremium, das sich als „sorbische Volksvertretung“, also so etwas wie ein Parlament, sieht, ausweislich der von seiner Pressesprecherin Jadwiga Piatza verschickten Mitteilung, bei Bundeskanzlerin Merkel, Innenminister Horst Seehofer, den Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen und dem Bundesratspräsidenten Daniel Günther die Anerkennung der Sorben als „indigenes Volk“ nach der ILO-Konvention 169, „Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“, wie es heißt, „beantragt“.
Ich lasse jetzt mal protokollarische Merkwürdigkeiten der Adressatenliste beiseite, so fehlt mit dem Bundestagspräsidenten ausgerechnet der höchste Repräsentant der Gesetzgebung. Es ist mir auch nicht bekannt, dass wir Sorben „in Stämmen“ leben. Ungeachtet dessen lohnt aber ein Blick in ILO-Konvention 169:
Da erfahren wir auf Wikipedia unter „Absicht und Bedeutung“ der Konvention als maßgebliches Merkmal solcher indigenen Völker: „Ihre oftmals jahrtausendealten Kulturen unterscheiden sich zumeist durch ihre besondere Beziehung zur Natur von der herrschenden westlichen Kultur.“ Ich kenne bisher keinen einzigen Sorben, der diesen Satz bezogen auf das sorbische Volk unterschreiben würde.
Schauen wir nun in die einzelnen Artikel rein, erfahren wir als Sinn der Klassifizierung als „indigenes“ Volk, „Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht der betreffenden Völker zur Nutzung von Land zu schützen, das nicht ausschließlich von ihnen besiedelt ist, zu dem sie aber im Hinblick auf ihre der Eigenversorgung dienenden und ihre traditionellen Tätigkeiten von alters her Zugang haben.“ Da fallen uns natürlich spontan die Indianerstämme des Amazonas-Regenwaldes ein, dem die Kleinbauern aus der Nachbarschaft mit Brandrodungen zu Leibe rücken. Eine auch nur entfernt vergleichbare Konstellation in der Lausitz existiert nicht.
Man könnte allenfalls versucht sein, mit Blick auf die – gerade zu Ende gehende – Epoche des Braunkohletagebaus Parallelen zu ziehen. Aber auch dies ist historisch unzutreffend, wie ich mich erst neulich bei der Zusammenkunft der früheren Einwohner und ihrer Nachkommen des abgebaggerten Ortes Groß Partwitz / Parcow im heutigen Seenland überzeugen konnte: Die große Mehrheit der sorbischen Bauern arbeitete völlig freiwillig und sehr bewusst selbst in der Kohle, weit bevor die zur Umsiedlung der Dörfer führte. Weil in den Kohle-Gruben viel mehr Einkommen für die Familien zu erzielen war als in der Landwirtschaft auf den sandigen Böden.
Ja, das sorbische Volk ist „First Nation“, die Sorben sind die Ureinwohner der Lausitz. Aber wir haben keine spezifisch sorbische Wirtschaftsweise. Der Vorstoß des „Serbski sejm“ schickt die Sorben wieder auf die Bäume, pardon zurück in den Wald, wo die Slawen vor über tausend Jahren tatsächlich noch anders wirtschafteten als die von Westen heranrückenden Stämme der Germanen. Hier wird also jetzt politisch eine Schlacht geschlagen, die vor einem Jahrtausend bereits „verloren“ wurde. Das ist so „sinnvoll“, als wolle man nun den bekanntlich sehr gläubigen katholischen Sorben wieder das Christentum wegnehmen, weil es ja seinerzeit mit wenig friedlichen Mitteln durchgesetzt wurde.
Last but not least: Eine selbst ernannte „sorbische Volksvertretung“ sollte sich vielleicht mal vor Ort beim Volk umhören, ob es überhaupt „indigen“ sein will. In der Hoyerswerdaer Region gab es ja bisher relativ viele Anhänger des „Serbski sejm“, weil sich viele in den vergangenen Jahrzehnten von „Bautzen“ vernachlässigt fühlten. Dieser Vernachlässigung wird zurzeit Schritt für Schritt selbstbewusst abgeholfen, durch neue sorbisch sprachige Arbeitsplätze, neue sorbische Sprachräume und wachsende sorbische Präsenz in der Öffentlichkeit, sei es beim Altstadt-Boulevard in Hoyerswerda oder in den Dörfern.
„Indigen“ sind die Hoyerswerdaer Sorben aber noch weniger als alle anderen. Die große Mehrheit steht bis heute zur Kohle und ist stolz darauf, industrieller Vorreiter gewesen zu sein. Verbunden mit der Hoffnung, nun mit der Stadt, in der Konrad Zuse den Computer erfand, an die Spitze der Digitalisierung zu kommen – mit dem Projekt „Zuse-Campus“ der Informatik der Technischen Universität Dresden am Scheibe-See vor den Toren von Hoyerswerda. Wir haben ja auch viele junge sorbische Informatiker.
Selbstverständlich stellen unsere Vereine auch alte landwirtschaftliche Geräte aus und pflegen traditionelle Trachten. Aber Indianerstämme sind sie weiß Gott nicht und werden sie auch nie sein. Ja, wir haben Humor und nennen uns manchmal „die Indianer der Lausitz“. Schließlich ist unsere Lebensform schon rein äußerlich viel bunter als die der Nachfahren der deutschen Siedler. Aber Gott bewahre uns davor, in die Schublade „indigen“ gesteckt zu werden.