Neulich las ich mal irgendwo was ungewöhnlich Kluges über die Zeit 1989/90: Damals kam es auch zu einem letztlich herrschenden Populismus, an dem der Osten bis heute laboriert. Es gab viele Probleme in der Zeit des Niedergangs der DDR, die einer Lösung harrten. Dazu hatten eine Menge Leute kluge Ideen, die aber auf einen Schlag durch eine populistische Vereinfachung aussichtslos wurden: den Beitritt, also die Vorstellung, das Einfachste und damit angeblich Beste sei, einfach die Regeln und Methoden der funktionierenden westdeutschen Gesellschaft auf das Territorium der bisherigen DDR zu übertragen.

Die Folgen dieses populistischen Kurzschlusses – Deindustrialisierung, mentale Entwurzelung, das Regime westdeutscher Leihbeamter mit „Buschzulage“ usw. usf. – wirken bis heute fatal nach. Und nun rollt die nächste brutalstmögliche Vereinfachungswelle, die bei der Bundestagswahl in Sachsen stimmenmäßig auf Platz 1 landete: Nachdem das mit der West-Kopie die Leute nicht glücklich und zufrieden gemacht hat, soll nun das ganz alte, Vor-68er-„Deutschland“ wieder aus der Kiste geholt werden.

Die neue Utopie sind die Bilder der 50-er Jahre. Ungestörtes homogenes Biedermeier. Restauration der alten Rollen, Verherrlichung des scheinbar Unpolitischen, das Lob der Spießigkeit und die Rehabilitierung der Doppelmoral: Es gibt wieder verschiedene Rechte wie in der Ständegesellschaft. Man hat sich zu klaren „Identitäten“ zu bekennen. Wehe dem, der bei der Nationalhymne nicht mitsingt. Das „Normale“ ist keine nüchterne statistische Größe mehr, sondern ein Fetisch. Das Zweckfreie wird verteufelt, das Funktionieren vergöttert. Und wer genau hinschaut, erkennt, dass der Keim des neuen Populismus schon im alten lag. Vielleicht werden wir bis zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit 2020 doch wieder klüger.

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